GEIGENBAU-ATELIER M&M KUHN – Das traditionelle Kunsthandwerk des Geigenbaus ist nach wie vor fest im Schweizer Gewerbe verwurzelt und hat einen hohen Stellenwert, denn Geigen & Co sind gefragt. Martin Kuhn hat vor 40 Jahren seine Passion zum Beruf gemacht und baut, repariert und pflegt mit viel Know-how und Feingefühl Streichinstrumente.
In der Schweiz gibt es rund 150 Geigenbauer sowie 80 bis 100 Geigenbauerateliers. Einer davon ist Martin Kuhn. Er führt zusammen mit seiner Frau Michèle – auch Geigenbauerin – seit über 40 Jahren sein Geigenbau-Atelier M. & M. Kuhn im Kanton Thurgau. Das Atelier befindet sich in einem 440-jährigen Gebäude, das mit seiner altehrwürdigen Fassade alle Blicke auf sich zieht, und gehört mittlerweile als Wahrzeichen in die Altstadt Diessenhofen. «Wir suchten damals ein freies Gebiet und fanden das im Raum Schaffhausen, Thurgau, Zürcher Weinland und dem angrenzenden Hegau», so Kuhn. «Hugo Auchli, unser Fachlehrer der Geigenbauschule Brienz, bot uns sein grosselterliches Haus hier an der Hintergasse an. Darin befand sich aber noch keine Werkstatt und wir mussten das uralte Gebäude gründlich renovieren.» Kuhn war schon von Kind an von der handwerklichen Arbeit fasziniert. «Die Berufswahl, Geigenbauer zu werden, lag deshalb für mich auf der Hand. Ich habe diesen Entscheid nie bereut», so Kuhn. Noch heute nach über 40 Berufsjahren steht Kuhn gern in seiner heimeligen Werkstatt und pflegt, wartet, repariert und baut mit grosser Passion seine Geigen.
Martin Kuhn hat an der Geigenbauschule Brienz eine vierjährige Lehre absolviert und so den Geigenbau von der Pike auf gelernt. Dort hat der versierte Fachmann auch seine Frau Michèle kennengelernt. 1985 absolvierte er die Meisterprüfung. «Nach unserer Gesellenzeit bei Hans Wenger in Biel haben wir uns hier in der Ostschweiz selbstständig gemacht.» Dies ganz nach dem bewährten Erfolgsrezept «beständig gute Arbeit, Fleiss und Engagement», mit dem das Mikrounternehmen schon etliche Krisen und Rezession gemeistert hat.
200 Stunden für eine Meistergeige
Reparaturen, Neubau und Vermietung sind die drei Standbeine des Geigenbau-Ateliers. «Bei uns findet man gute Geigen, Bratschen und Celli in allen Preislagen.» Kuhn vermietet auch kleinere Schülerinstrumente zu günstigen Konditionen und führt alles nötige Zubehör. «Bereits bei den einfachen Schülerinstrumenten lege ich sehr grossen Wert auf gute Spielbarkeit und Qualität, denn nur so ist die Freude und Motivation der Kinder beim Musizieren gewährleistet.» Reparaturen an Streichinstrumenten und Bogen sind oft aufwändig und brauchen Zeit. «Ich lege Wert auf sorgfältige und fachmännisch ausgeführte Arbeiten. Gerade mit kostbaren Instrumenten trägt man eine grosse Verantwortung», sagt Kuhn. Der Service beinhaltet auch Klangoptimierung und Revisionen. Ab und zu gehört auch der Neubau von Geigen, Bratsche und Celli zu seinen Tätigkeiten. «Früher baute ich jährlich drei bis fünf Instrumente. Da wir derzeit etliche spielfertig an Lager haben, musste ich leider die Bremse etwas anziehen.» Er liebt es, Neues entstehen zu lassen: «Es ist unbeschreiblich, einem neuen Instrument die ersten Töne einzuhauchen.» Als Modelle dienen Vorbilder einiger Grossmeister wie Stradivari, Guarneri, Gagliano, Fiorini etc., die mehr oder weniger frei interpretiert werden.
Für die Instrumente verwendet der Geigenbauer fast ausschliesslich geflammten Bergahorn und stets Fichtenholz. «Für unsere Zwecke gibt es Zulieferer, Tonholzhändler oder spezialisierte Sägereien, die den Bedarf proportionieren», erklärt Kuhn. Das Griffbrett wird aus Ebenholz gefertigt, oder zunehmend auch aus Alternativmaterial, speziellem Kunststoff oder verdichtetem einheimischem Holz von Swiss Sonowood. Spezielle Hersteller liefern Wirbel, Saitenhalter sowie Saiten. Für eine sogenannte Meistergeige – ein handgefertigtes Einzelinstrument – benötigt man gemäss Kuhn rund zweihundert Arbeitsstunden. Für ein Cello etwa dreimal mehr. «Natürlich ist unser Preis-Leitungs-Verhältnis gut, aber wir können keinen Einkaufspreis für den Detailhandel machen. Dieser würde unsere Selbstkosten nicht decken», gibt er zu bedenken.
Der erfahrene Geigenbauer schätzt nach wie vor seine abwechslungsreiche Arbeit und die vielen Möglichkeiten dieses breitgefächerten Kunsthandwerkes: «Es fasziniert mich, von Hand mit geeigneten, schönen und fein geschliffenen Werkzeugen kreativ zu arbeiten», so Kuhn. Dazu kommt die Herausforderung, Ästhetik und Präzision so zu kombinieren, dass das Instrument ein Optimum an Klang entwickelt. «Funktionalität und Sensibilität setze ich bedingungslos um», betont Kuhn.
Höchste Genauigkeit
Der Klang ist das zentrale Element bei der Arbeit des Geigenbauers. Alles dreht sich um den Klang, angefangen bei der Wahl des Holzes für den Neubau bis zum Aufspannen der Saiten am Schluss. «Es ist für mich immer eine Herausforderung, das Instrument besser einzustellen und den versteckten Klang herauszuholen», sagt Kuhn. Dabei gilt es, Instrument und Musiker gerecht zu werden, denn der Klang ist subjektiv. «Er ist eine Summe aus allen mitspielenden Faktoren – auch die vom Musiker, der das Instrument zum Klingen bringt.» Dabei ist viel Fingerspitzengefühl, Konzentration und eine grosse Portion Geduld gefragt. Zudem stecken das ganz Know-how, Engagement sowie Wissen und Erfahrung in so einem Musikinstrument. «Gute Instrumente machen Freude», so Kuhn, der in jedem seiner hölzernen Kunsthandwerke auch seine Beziehung zu seinem tiefen Glauben einfliessen lässt. «Nur so entstehen wirkliche Herztöne.» Seine Instrumente signiert er mit «Soli DEO Gloria», wie einst Johann Sebastian Bach seine Kompositionen. «Und seit Corona zeichne ich über dem DEO noch eine Krone.» Einst hat auch Michèle Kuhn Geigen gebaut. Nun hält sie ihrem Mann den Rücken frei, so dass er sich voll auf sein Geschäft konzentrieren kann. «Aber wir tauschen uns gegenseitig regelmässig aus, so dass sie einspringen könnte.»
Eine gute Nachfolge
Zu den Kunden zählen Eltern, die für ihre Kindern gut spielbare Mietinstrumente brauchen, Liebhaber und Amateure, die für ihr Geld ein gutes Instrument aussuchen oder bestellen möchten. Aber auch Musiker, die ein zuverlässige Arbeitsinstrument benötigen. Martin Kuhn empfindet als Unternehmer die momentane Zeit als eine grosse Herausforderung. «Wir haben diverse Krisen und die Leute sind nicht sehr kauffreudig», so Kuhn und er doppelt nach: «Menschen ohne Zukunftsaussichten investieren schon gar nicht in ein Instrument, das eine Lebenserwartung von mehreren hundert Jahren hat. Ein Thema für ihn und seine Frau ist die Nachfolgeregelung. «Wir wünschen uns eine gute Nachfolge, die wenn möglich auch den Standort weiterführt. Aber es sind alle Optionen offen.»
Corinne Remund