«Wir müssen uns dem gesellschaftlichen Wandel stellen»

    Daniel Imboden, CEO Stiftung Heilsarmee bringt frischen Wind in die Heilsarmee Schweiz. Dabei führt er seinen Posten als Chef mit viel Demut und Herzblut für die Menschen am Rande der Gesellschaft. Er gibt Einblick in das vielfältige Wirken der Heilsarmee im Namen Gottes, nächste Pläne und Projekte sowie mögliche Wachstumsstrategien.

    (Bild: zVg) Bescheiden und demütig – Daniel Imboden, Chef der Heilsarmee Schweiz: «Momentan erleben wir im Bereich «housing first» eine steigende Nachfrage. Hier sind wir bereit stärker zu investieren.»

    Sie haben Ihr Berufsleben der Heilsarme verschrieben und haben nun die Leitung der Heilsarmee in der Schweiz inne. Was bedeutet für Sie dieses Amt?
    Daniel Imboden: Ich bin Heilsarmeeoffizier und diene Gott in der Heilsarmee mit meinen Fähigkeiten und Erfahrungen. Dass ich nun CEO der Stiftung Heilsarmee bin, ist ein Privileg und zugleich eine grosse Herausforderung. Aber ich empfinde diese Aufgabe nicht wichtiger als das, was meine Kolleginnen und Kollegen täglich in ihren Kirchgemeinden, Heimen oder auf der Strasse leisten.

    Wofür steht die Institution Heilsarmee in der Schweizer Gesellschaft?
    Die Heilsarmee steht in der Schweiz für einen tatkräftigen und überzeugten Glauben und für unbürokratische und pragmatische Hilfe an Randständige und Bedürftige. Für mich sollte die Heilsarmee in der Schweiz für Hoffnung und Zuverlässigkeit stehen – wir sind da, wenn man uns braucht, und wir glauben an positive Veränderung.

    Was sind bis jetzt die grössten Errungenschaften der Heilsarmee?
    Als die Heilsarmee vor 140 Jahren in Genf ihre Arbeit begann, wurde sie bekämpft, beschimpft und verboten. Dass wir heute eine anerkannte und geschätzte Freikirche und der grösste private Anbieter sozialer Dienstleistungen in der Schweiz sind, ist grossartig. Dank der Heilsarmee haben viele Menschen zu einem lebendigen Glauben gefunden und wurde Armut und Obdachlosigkeit in der Schweiz bekämpft. Heute werden viele der sozialen Angebote, die wir anfangs selbst aufgebaut und finanziert haben, von den 13 Kantonen, in welchen wir arbeiten, finanziell unterstützt. Das zeigt: Die Heilsarmee ist ein verantwortungsbewusster und vertrauenswürdiger Akteur und aus unserem Sozialsystem gar nicht mehr wegzudenken.

    Was sind die Kerngebiete der Heilsarmee?
    Neben unseren kirchlichen Angeboten, die wir in unseren 53 Kirchgemeinden für alle Altersgruppen betreiben, fokussieren wir mit unseren sozialen Angeboten auf die Bereiche Wohnen und Wohnbegleitung für psychisch und physisch beeinträchtigte Personen. Wichtig sind auch die 20 Brockis, die nicht nur ein Einkaufserlebnis bieten, sondern auch zur Nachhaltigkeit beitragen.

    Welche Spuren hat die Pandemie in der Heilsarmee hinterlassen?
    Die Pandemie hat vor allem in unseren Kirchgemeinden Spuren hinterlassen, es besuchen rund 30 Prozent weniger Leute unsere Gottesdienste und andere Angebote. In unseren Heimen haben wir die Pandemie gut überstanden. Was die Spenden betrifft, waren die letzten beiden Jahre sogar besser als erwartet. Offenbar hat die Pandemie die finanzielle Solidarität nicht beeinträchtigt.

    (Bild: zVg) Zahlen belegen, dass die Armut in den letzten 10 Jahren gestiegen ist.

    Gibt es momentan mehr arme, bedürftige Menschen in der Schweiz als noch vor ein paar Jahren?
    Zahlen belegen, dass die Armut in den letzten 10 Jahren gestiegen ist. Im Jahr 2019 waren laut Bundesamt für Statistik neun Prozent der Schweizer Bevölkerung von Armut betroffen. Wir stellen fest, dass aber nicht nur die Armut steigt, sondern dass auch Ungleichheit und Isolation grösser werden. Dazu haben die Pandemie und die Krisen der letzten Monate das Armutsproblem noch stärker zu Tage treten lassen.

    Bei der Heilsarmee in Europa besteht ein Nachwuchsproblem. Wie wollen Sie das regeln?
    Wir müssen uns dem gesellschaftlichen Wandel stellen. Wenn es uns zum Beispiel gelingt, neue Modelle der Mitgliedschaft und der Mitarbeit zu schaffen, können wir damit unser Einzugsgebiet erweitern. Und wenn wir uns auf die für uns wichtigen Dinge fokussieren, können wir die dafür benötigten Arbeitskräfte gezielter einbinden. Letztlich müssen wir klarer sagen, wer wir sind und was wir tun, damit wir auch für junge Menschen fassbarer werden. Die Heilsarmee ist eine sehr interessante und vielseitige Arbeitgeberin. Das ist vielen noch zu wenig bekannt. Das wollen wir ändern.

    Hingegen global betrachtet, wächst die Heilsarmee. Wieso denn das?
    Die Heilsarmee wächst vor allem in Afrika und Indien unglaublich. Das hat damit zu tun, dass die hierarchische Struktur, die Uniformen und die Symbolik in diese Regionen grossen Anklang finden. Andererseits arbeitet die Heilsarmee dort im niederschwelligen Bereich, in der Nahrungsmittelversorgung, in der Bildung und im Gesundheitswesen sehr gut und kann dabei von ihren internationalen Beziehungen profitieren.

    (Bild: Ruben Ung) Die Heilsarmee Schweiz will vor allem im Bereich Sozialwerk wachsen.

    Die Heilsarme hat mit weniger Mitgliedern, Umsatzeinbussen und einem reduzierten Personalbestand ein paar schwierige Jahre hinter sich. Wie wollen Sie die verlorenen Umsatzfranken zurückholen?
    Wir haben vor allem im Bereich der Flüchtlingshilfe Umsatz eingebüsst, weil wir einen langjährigen Auftrag des Kantons Bern verloren. Aber auch im Sozialwerk mussten wir Verluste von Institutionen hinnehmen. Daraus haben wir zwei Lehren gezogen: Erstens sollten wir uns dort einsetzen, wo wir gebraucht werden. Momentan erleben wir im Bereich «housing first» eine steigende Nachfrage. Hier sind wir bereit stärker zu investieren. Zweitens wollen wir in den Bereichen wachsen, wo wir als Partner anerkannt und geschätzt werden und wo unsere Kernkompetenzen liegen: Im Bereich Wohnen, Wohnbegleitung, Obdachlosigkeit und in niederschwelligen Hilfsangeboten. Natürlich wünschte ich mir auch Wachstum im kirchlichen Bereich, aber dieser Bereich macht vom Umsatz her weniger aus. Ebenfalls kann ich mir ein Wachstum des Bereichs Brocki vorstellen, sei es Neueröffnungen oder Angebotserweiterungen.

    (Bild: Magalia Giardin) Unbürokratische und pragmatische Hilfe an Randständige und Bedürftige.

    Wie steht es mit den Spenden und wie wollen Sie diese künftig steigern?
    Mit der aktuellen Spendensituation sind wir sehr zufrieden. Die Spenden sind auf hohem Niveau stabil, interessanterweise auch durch die Pandemie hindurch. Hier besteht die Herausforderung, junge Menschen als Spenderinnen und Spender zu gewinnen, weil wir bei der jüngeren Generation weniger bekannt sind.

    Sie möchten nach der Schrumpfkur wieder wachsen. Welche Pläne verfolgen Sie da?
    Wachstum sehen wir vor allem in den Bereichen Sozialwerk und Brocki, aber auch im Kirchlichen Angebot. Zurzeit sind wir daran, in diesen Bereichen eine Strategie für die nächsten Jahre auszuarbeiten. Wir werden uns in den zukünftigen Bemühungen klar daran orientieren.

    Welche Projekte stehen weiter für dieses Jahr an?
    Neben der bereits erwähnten Strategieentwicklung sind dieses Jahr noch einige digitale Projekte geplant. Zudem arbeiten wir intern weiterhin an unserer Wirksamkeit und Effizienz und wir haben einige grössere Bauprojekte und Anfragen für neue Wohnangebote in der Pipeline. Nicht zu vergessen ist auch, dass die Heilsarmee Schweiz ebenfalls für die Arbeit in Österreich und Ungarn verantwortlich ist, wo spannende Entwicklungen auf uns warten.

    Interview: Corinne Remund


    Die Heilsarmee ist für Menschen da. Wer in Not gerät, findet bei ihr Rat, offene Ohren und Trost. Oder ein neues Zuhause. Und Platz am gedeckten Tisch. Die Heilsarmee ist mit mehr als 30 sozialen Institutionen und über 50 Kirchgemeinden in der Deutsch- und Westschweiz breit vertreten.

    Weitere Infos:
    www.heilsarmee.ch

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